Neel Jani: Schöne Fügungen des Schicksals
SO IST UND DENKT ER ALS MENSCH Diese Woche tritt Neel Jani mit Porsche Motorsport auf einem 911 RSR zu den 24 Stunden von Le Mans an. Die Homestory zeigt die private Seite des erfolgreichen Berner Rennfahrers. In Bellmund herrscht die typische morgendliche Stille. Die Vögel zwitschern, die rund 1500 Einwohner des malerischen Berner Dorfes […]
In Bellmund herrscht die typische morgendliche Stille. Die Vögel zwitschern, die rund 1500 Einwohner des malerischen Berner Dorfes bereiten sich auf die Aufgaben des Tages vor.
Porsche-Traktor als Erbstück
Porsche Werksfahrer Neel Jani tritt vor die Tür seines teilrestaurierten Bauernhauses und durchbricht die Idylle. Mit einem breiten Grinsen dreht der 37-Jährige den Zündschlüssel und haucht dem rund 60 Jahre alten 2,6-Liter-Diesel lautes Leben ein.
Neel Jani: «Das ist gewissermassen ein Erbstück der ganz besonderen Art. Dieser Porsche Traktor ‚Modell Super Export‘ gehörte zu dem Hof, den wir von einem engen Schulfreund gekauft haben. Es ist ein tolles historisches Spielzeug, an dem auch mein Sohn noch viel Freude haben wird.»
Ideale Umgebung für einen Sportler und Familienvater
Der heimatverbundene Sohn eines indischen Vaters und einer Schweizer Mutter lebt auf dem grosszügigen Gelände nur einen Steinwurf entfernt von seinem Heimatort Jens gemeinsam mit Ehefrau Lauren und dem bald drei Jahre alten Sohn Maverick.
Der Bielersee liegt in direkter Nachbarschaft, es gibt viele landwirtschaftlich genutzte Flächen und hohen Freizeitwert nahe der Schweizer Alpen.
Neel Jani: «Ich kann hier alles machen, was mir am Herzen liegt: Skilanglauf, Radfahren, mit der Familie draussen sein. Und mein Sohn kann auf dem Land hinter dem Hof schon frühzeitig erste Erfahrungen auf dem Traktor oder auf einem Motocross-Bike sammeln.»
Lieber beschaulich als glamourös
Entsprechend seiner väterlichen Familie, die als Kosmopoliten indischer Herkunft mittlerweile unter anderem in den USA, Neuseeland und Grossbritannien lebt, zog auch Jani einst in die grosse, weite Welt hinaus.
Als Red-Bull-Junior verschlug es ihn für kurze Zeit auf die britische Insel, während der US-Rennkarriere lebte er im Haus seines Onkels in Manhattan Beach. Jani zog es nach nur einem Jahr an der US-Pazifikküste wieder zurück zu den Eidgenossen.
Neel Jani: «Ich brauche solche Spasstempel wie Los Angeles oder Monaco gar nicht. Da bin ich vielleicht der Gegenentwurf zu vielen Rennfahrern, die glamouröses Umfeld lieben. Mir gibt die Beschaulichkeit meines kleinen Dorfes einfach viel mehr.»
Wenn das Schicksal auf zwei Racing-Herzen trifft
Diese Bodenständigkeit wird an seinem Wohnsitz mehr als deutlich. Das Haus unauffällig, der Dienstwagen von Porsche in der Garage versteckt, die Wohnung nicht mit teuren Designermöbeln ausgestattet, sondern im schlichten Outfit eines schwedischen Möbelhandels.
So mögen es Lauren und er. Keine Show, ganz normales Leben. Kennengelernt hat sich das Ehepaar 2006 an einer Party von Red Bull bei der Formel 1 in Indianapolis, als der damals 22-Jährige Freitagsfahrer von Toro Rosso war.
Neel Jani «Am Eingang wurde mein Ausweis kontrolliert, weil ich nachweisen musste, dass ich mindestens 21 bin und somit überhaupt hinein darf. Den Blick in meine Papiere warf eine hübsche 19-jährige Amerikanerin namens Lauren Boyd. Ich war jung, frech und unbedarft – habe deswegen auch einen Spruch gemacht, an den ich mich nicht mehr genau erinnern kann. Aber das Eis war gebrochen.»
Lauren Boyd hielt danach mit dem Rennfahrer aus der Schweiz Kontakt. Die Beziehung entwickelte sich im Jahr darauf, als Jani für das Team PKV in der damaligen ChampCar-Serie fuhr.
Neel Jani: «Diese Mannschaft hatte ihren Sitz in Indianapolis. Und wer stammt von dort? Wessen Vater war dort im Rennumfeld tätig? Genau: Lauren! Das war Schicksal.»
Das Karma spielt eine Rolle
Die Geschichte der Beziehung des Ehepaares Jani steht stellvertretend für zahlreiche Ereignisse im Leben des erfahrenen Rennpiloten. Das Schicksal, das Karma spielt eine wichtige Rolle.
Neel Jani: «Ich bin davon überzeugt, dass es einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung bei all meinen Handlungen gibt. Ich bin charakterlich durch und durch ein Schweizer, aber habe natürlich auch gewisse Eigenheiten von meinem Vater geerbt. Eine eher philosophische Betrachtung des Lebens ist wohl das, was meine indischen Wurzeln in mir widerspiegelt. Ich versuche mir zu erklären, warum wir Menschen so sind, wie wir sind. Ich folge keiner Religion, sondern habe mir meine Erklärungen für das Leben selbst geschaffen. Und Karma spielt dabei eine grosse Rolle.»
Ausgleichende Gerechtigkeit
Diesen Ansatz sieht Jani auch bei der Betrachtung seiner motorsportlichen Karriere bestätigt. Beispiel Le Mans 2016, wo er sich das Cockpit des siegreichen Porsche 919 Hybrid mit Marc Lieb und Romain Dumas teilte.
Das Trio feierte im gleichen Jahr den Gewinn des WM-Titels, der Höhepunkt einer Karriere im Langstreckensport.
Neel Jani: «Das Rennen hatten wir eigentlich verloren. Aber besondere Umstände direkt vor dem Fallen der Zielflagge haben uns plötzlich den Sieg ermöglicht. Das war ein Geschenk in kitschiger Hollywood-Manier. Und was passiert im Folgejahr? Wir führen in Le Mans sehr deutlich, müssen quasi nur noch ins Ziel rollen, da bleibt unser Auto plötzlich stehen mit einem Schaden, der zuvor in vier Jahren nie aufgetreten ist. Das Positive und das Negative gleicht sich irgendwie aus. Du bekommst immer die Quittung. Vielleicht nicht sofort. Vielleicht erst in einem anderen Leben. Daran glaube ich. Das mag alles etwas seltsam klingen, aber warum sollte das nicht so sein?»