Hockenheim: Müller braucht Schützenhilfe
SPANNUNG VOR DTM-FINALE In den letzten zwei DTM-Rennen geht es für Nico Müller um alles – oder nicht mehr als 2019. Selbst bei zwei Siegen wäre der letztjährige Vizemeister nicht automatisch Champion. Eine Vorhersage ist möglich, aber eigentlich sinnlos – denn an überraschenden Wendungen mangelt es der 2020er-Saison der DTM wahrlich nicht. Und so dürfen […]

Eine Vorhersage ist möglich, aber eigentlich sinnlos – denn an überraschenden Wendungen mangelt es der 2020er-Saison der DTM wahrlich nicht. Und so dürfen sich die TV-Zuschauer – vor Ort sind keine erlaubt – auf sportlich herausragende Finalrennen, spektakuläre Duelle und packende Action freuen.
Zwei, die nichts zu verlieren haben
Für die beiden Teamkollegen vom Audi Sport Team Abt Sportsline, Nico Müller und Robin Frijns, gilt als Marschrichtung eine der ewigen Motorsport-Weisheiten: «If in doubt – flat out» («Im Zweifel Vollgas»). Denn ihre Ausgangslage ist simpel: Beide müssen im grossen Stil Punkte auf Tabellenführer René Rast gutmachen, um das Blatt auf der Zielgeraden der Saison noch einmal zu wenden.
Der Berner hat 19 Punkte Rückstand, der Niederländer 41. Zweimal 25 Zähler je Sieg sind noch zu vergeben, plus je drei weitere Pole-Position, zwei für Startplatz 2 und einer für P3 in der Qualifikation.
Schon aufs Qualifying kommt es an
Aus eigener Kraft kann keiner der beiden Kandidaten ausreichend Punkte gutmachen – nur 16 sind bei voller Ausbeute in den beiden Hockenheim-Rennen gegenüber dem theoretisch jeweils Zweitplatzierten möglich.
Als Duo jedoch liesse sich das Blatt durchaus aus eigener Kraft wenden – etwa, wenn die «Äbte» jeweils die beiden Top-Platzierungen in Qualifyings und Rennen sichern und Nico Müller dabei jeweils den Spitzenplatz einnimmt. Müller vor Frijns – diese Konstellation gab es dieses Jahr zwar zweimal, aber nie mit dem Schweizer auf der Pole-Position.
Kalkuliertes Risiko von René Rast
Das heisst im Umkehrschluss auch: René Rast hat die erfolgreiche Titelverteidigung in seinen eigenen Händen. Dazu müsste er «nur» in beiden Qualifyings und Rennen wenigstens Zweiter werden – dann wäre ihm die grosse Trophäe nicht mehr zu nehmen, ganz egal wie die Kontrahenten abschneiden.
Dabei sind auf jeden Fall verboten: Fehler, Rückschläge, Ausfälle. Denn nur Rast hat etwas zu verlieren. Dass das Schlimmste allerdings eintritt, erschien zuletzt unwahrscheinlich. Mit vier unwiderstehlichen Rennen an den zwei Wochenenden in Zolder verwandelte er einen 47-Punkte-Rückstand in einen 19-Punkte-Vorsprung. Den aktuellen Meisterschaftstand finden Sie hier.
Dementsprechend tritt Rast mit gestärktem Selbstvertrauen an. Würde ihm der Titel gelingen, wäre es sein dritter in der DTM. Rast stünde damit auf einer Stufe mit Legende Klaus Ludwig. Nur Bernd Schneider kann mit fünf Titelgewinnen auf mehr verweisen.

Strategischer Spielraum
Zwei Einflüsse geben den Fahrern und Ingenieuren in Hockenheim in ihren Kombinationsmöglichkeiten einen enormen strategischen Spielraum. Mit den kühleren Temperaturen bauen die Hankook-Einheitsreifen während der Rennen weniger stark ab.
Der Pflichtboxenstopp könnte so zum kreativen Mittel werden, Boden im Rennen gutzumachen und die Konkurrenz zu überraschen. Etwa mit radikalen Strategien, die zum sogenannten Over- oder Undercut führen, also mit besonders nach hinten herausgezögertem oder enorm früh gelegtem Stopp dem dichten Verkehr zu entgehen – abhängig von der der jeweiligen Position des Fahrers. Wenn nötig, wird dies Nico Müller zweifellos versuchen.
74 Prozent Vollgas
Ein anderer Aspekt für strategische Freiheit liegt im Typus der Rennstrecke im Badischen Motodrom. Sie erlaubt grundsätzlich zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die Fahrzeugabstimmung. Entweder setzt man auf hohen Top-Speed durch weniger oder auf hohe Kurvengeschwindigkeiten durch deutlich mehr aerodynamischen Anpressdruck.

Der ebene Asphalt und die flachen Randsteine des Hockenheimrings erlauben zudem niedrige Bodenfreiheiten der Fahrzeuge. Die Experten erwarten einen Vollgas-Anteil von rund 74 Prozent. Der konzertierte Einsatz der Über- und Aufholhilfen DRS (Drag Reduction System) und PTP (Push-to-pass) wird im Rennen pro Runde mit einem Vorteil von rund sieben Zehntelsekunden geschätzt.
SRF2 live dabei
Beide Rennen sind am Samstag und Sonntag, 7./8. November, jeweils ab 13 Uhr live auf SAT.1 oder ab 13.15 Uhr im Schweizer Fernsehen SEF2 mit dem Kommentar der Formel-1-Reporter Michael Stäuble und Marc Surer zu sehen.